10. deutsch-brasilianischer Dialog zeigt mit vielfältigen Perspektiven Wege für eine erfolgreiche nachhaltige Energiewende auf

© Felipe Mairowski

Eine tiefgreifende Debatte voller Lehren und Vorschläge für eine nachhaltige Energiewende: Das ist die Bilanz des 10. Deutsch-Brasilianischen Dialogs zu Wissenschaft, Forschung und Innovation, der am 16. und 17. Mai 2023 stattfand und vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo und der Stiftung für Forschungsförderung des Bundesstaates São Paulo (Fapesp) gefördert wurde.

Brasilianische und deutsche Experten, führende Wissenschaftler und Vertreter der Innovationsindustrie kamen in São Paulo zusammen, um Lösungen für die Herausforderungen bei der Nutzung neuer Energiematrixen zu diskutieren. Die Veranstaltung fand am Hauptsitz von Fapesp statt und war die erste Präsenzveranstaltung des Dialogs seit dem Beginn der Pandemie.   

Jochen Hellmann, Direktor des DWIH São Paulo und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Brasilien, hob die Bedeutung der unterschiedlichen Perspektiven hervor, die der Dialog mit sich brachte. “Mir ist vieles klar geworden: die Relevanz des Themas Erneuerbare Energien, die unterschiedlichen Sichtweisen, die deutsche und brasilianische Wissenschaftler einbringen, sowie die Komplementarität dieser verschiedenen Standpunkte. Und nicht zuletzt, wie wichtig es ist, einen kompetenten Partner wie Fapesp bei dieser gemeinsamen Wissensfindung zu haben”, sagte er.

Marcio Weichert, Programmleiter des DWIH São Paulo, wies darauf hin, dass die Anwesenheit der Industrie beim Dialog die Debatte bereichert habe. “Die Energiewende wird nicht von Forschern, die zwar Lösungen ausarbeiten, sondern von Unternehmen und Regierungen umgesetzt. Der Dialog zwischen den Regierungen und der Gesellschaft, zwischen allen Akteuren, ist unerlässlich”, sagte er.

Am ersten Tag: Die Herausforderungen des Übergangs

Nach der Begrüßung durch die deutsche Generalkonsulin in São Paulo, Martina Hackelberg, durch Hellmann und den Präsidenten des Fapesp, Marco Antonio Zago, sowie einer Einführung in den Dialog durch Euclides de Mesquita Neto (Fapesp), hielt Professor Veronika Grimm den ersten Hauptvortrag der Tagung.

Grimm, Mitglied des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Direktorin des Nürnberger Laboratoriums für experimentelle Forschung (LERN). In ihrem Vortrag mit dem Titel “Challenges of the Global Energy Transition and Opportunities for (new) Partnerships” berichtete die Expertin über die Herausforderungen, denen sich Deutschland im Bereich Energie im aktuellen globalen Umfeld gegenübersieht.

“Wir hatten einen regelrechten Höhenflug der Energiepreise, die nach der Energiekrise wieder gesunken sind, aber noch nicht wieder das historische Niveau erreicht haben. Der Preis ist gestiegen, weil insbesondere in Deutschland, aber auch in einigen anderen EU-Ländern, Gas als Stromerzeugungstechnologie eingesetzt wird. Wir mussten [wegen des Ukraine-Kriegs] russisches Gas ersetzen, aber wir haben es nicht geschafft, dies vollständig zu tun”, betonte sie.

“Was ist also die größte Herausforderung, vor der wir stehen? Wir müssen erneuerbare Energiequellen nutzen, um alle Bereiche unserer Wirtschaft zu dekarbonisieren: Heizung, Mobilität, Industrie, Energiespeicherung. Die deutsche Energiewende ist sehr auf die Elektrifizierung ausgerichtet, aber es gibt noch einen zweiten Weg: die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien und seine Nutzung zur Dekarbonisierung aller Sektoren, in denen eine Elektrifizierung nicht möglich ist”, sagte Grimm.

Am ersten Tag des Dialogs wurde auch darüber diskutiert, wie der Übergang zu einem kohlenstofffreien System beschleunigt, die Energiekosten für einkommensschwache Familien gesenkt und Innovationen in diesem Bereich für eine nachhaltige Entwicklung genutzt werden können. Zu den Teilnehmern des Runden Tisches gehörten Namen aus Wissenschaft und Industrie, wie Michael Bucksteeg (FernUniversität Hagen), Carlos Eduardo Cerri, Jacques Marcovitch (beide Universität São Paulo), Samuel Mössner (Universität Münster), Roberto Schaeffer (Coppe/UFRJ) Christian Oberst (IW – Institut der deutschen Wirtschaft), Roger Guilherme (Volkswagen), Phillip Riegebauer (Bable Smart Cities), Fernando Júnior (Bosch), Paulo Roberto de Souza (Siemens), Vera Felbermayer (BASF) und Marco Giannini Pereira (Cepel).

Zweiter Tag: Wie können klimaschonende Maßnahmen beschleunigt werden?

Am zweiten Tag hielt Professorin Joana Portugal Pereira vom Energieplanungsprogramm (PPE) von Coppe/UFRJ und Doktorandin der Universität Tokio im Bereich Umwelttechnik den Hauptvortrag. Seit mehr als zehn Jahren ist sie in der Forschung und Beratung in den Bereichen Energieplanung und Umweltbewertung tätig und gehört außerdem der Gruppe an, die sich im Rahmen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) der Vereinten Nationen mit der Eindämmung des Klimawandels befasst.

In ihrer Eröffnungsrede sprach Portugal Pereira über das Thema “Shifting Development Pathways: How to Enable Broader, Deeper, and Faster Climate Action?” Ihrer Meinung nach sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits spürbar – in Brasilien haben 25% der mehr als 5.000 Gemeinden bereits von direkten Auswirkungen des Klimawandels berichtet. Um die globale Erwärmung auf 1,5ºC zu begrenzen, sei es notwendig, die Kohlenstoffemissionen bis 2030 um 50% und bis 2050 auf Null zu reduzieren und zusätzlich in eine nachhaltige Energiewende zu investieren – trotz der damit verbundenen Herausforderungen.

“Wir müssen die Verbrennung von fossilen Brennstoffen reduzieren und aufgeben. Wir sprechen hier von Kohle, Erdgas und Erdölprodukten. Und wie bei früheren Energiewenden gibt es auch hier keinen offensichtlichen Vorteil für Produzenten oder Verbraucher, wenn wir von fossilen Brennstoffen auf kohlenstoffarme Strategien umsteigen. Die Öl- und Gasindustrie ist effizient und verfügt seit mindestens hundert Jahren über die gesamte Logistik und Infrastruktur. Erneuerbare Energien werden derzeit nicht als neue konventionelle Technologie angesehen und in einigen Sektoren sogar als schlechte Version der derzeitigen Öl- und Gastechnologien wahrgenommen”, sagte er.

Das Problem, so Portugal Pereira, ist, dass die Welt mehr Energie braucht und ein kultureller Wandel erforderlich ist. “Wir haben immer noch einen hohen Prozentsatz der Weltbevölkerung ohne Zugang zu Energie. Und es ist schwierig, den Lebensstil zu ändern. Niemand will das. Ich bin sicher, dass niemand aufhören will, Fleisch zum Mittag- oder Abendessen zu essen. Niemand will aufhören, die bequemen Autos zu fahren, die wir haben”, sagte er. “Aber ich will nicht pessimistisch sein. Wir haben derzeit die niedrigsten Kosten für erneuerbare Energien in der Geschichte und einen raschen Ausbau der installierten Kapazität. Fast alle Länder, alle großen Volkswirtschaften, haben Null-Kohlenstoff-Ziele angekündigt, und wenn sie ernsthaft und glaubwürdig sind, werden sie uns in eine Welt führen, in der die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter 2°C liegt. Und vom schlimmsten Fall sind wir noch weit entfernt.”

Der zweite Tag der Veranstaltung wurde durch Diskussionen über Kohlenstoffpolitik und -markt, die Rolle von Wertschöpfungs- und Lieferketten und den Beitrag, den Bildung zur Energiewende leisten kann, abgerundet. Zu den Diskussionsteilnehmern gehörten Ricardo Rüther (Bundesuniversität Santa Catarina), Arnaldo Cesar Walter (Staatliche Universität Campinas), Vania Zuin Zeidler (Leuphana Universität Lüneburg), Witold-Roger Poganietz (Karlsruher Institut für Technologie), José Roberto Cardoso (USP), der das Thema aus akademischer Sicht beleuchtete, sowie Caio Pandolfi (Siemens) und Gabriel Trevisan (Bosch) als Vertreter der Industrie. Zum Abschluss gab es noch eine spezielle Sitzung zu Finanzierungsmöglichkeiten für die Forschung mit brasilianischen und deutschen Institutionen.

Besuch bei RGCI

Ein Teil der Delegation, die am Dialog teilnahm, nahm am 18. Mai auch an einer zusätzlichen Aktivität teil: einem Besuch des Forschungszentrums für Treibhausgasinnovation (RCGI), das sich an der Escola Politécnica der USP befindet. Es war eine Gelegenheit, mehr über die Arbeit des Zentrums zu erfahren, das Forschung im Energiebereich fördert und entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf der Energiewende liegt. Die Delegation besuchte mehrere RCGI-Labore, die sich der Forschung widmen, z. B. Brennstoffzellen und reaktive Umwandlung, Überschallgastrennung, konzentrierte Solarenergie und Verbrennung.

 

Autor: Rafael Targino

Schauen Sie sich hier die Übertragung der Veranstaltung an: