Künstliche Intelligenz ohne Berührungsängste

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Die Künstliche Intelligenz hat unseren Alltag mit atemberaubenden Entwicklungen verändert. In einem Interview mit dem DWIH in São Paulo bekräftigt der deutsche KI-Experte und FAU-Präsident Joachim Hornegger, dass wir keine Angst vor der Künstlichen Intelligenz haben sollten, denn sie könne, unterstützt durch entsprechende Forschung, viele weitere überraschende Veränderungen in unserem Leben ermöglichen

Seit über einem halben Jahrhundert erforschen Informatiker Algorithmen für Künstliche Intelligenz (KI). Bereits heute hat die viel diskutierte KI unseren Alltag mit atemberaubenden Entwicklungen verändert. Wir können die heutige Welt nicht mehr erfassen, ohne diese neue Realität zu berücksichtigen: ein Buch lesen, ohne es zu öffnen, mit vielen Menschen auf der ganzen Welt mit Hilfe von Simultanübersetzungen in einer beliebigen Sprache sprechen, ein Aneurysma erkennen, noch bevor es eine Hirnblutung verursacht, durch intelligente Technologie zur Nachhaltigkeit beitragen, auf selbstfahrende Autos und digitale Assistenten zurückgreifen – das sind nur einige Beispiele für die erstaunlichen Anwendungen der modernen Sensortechnik in Kombination mit den Fortschritten in der Künstlichen Intelligenz.

„Wir sollten keine Angst vor Künstlicher Intelligenz haben. Ich vermute, dass sie unser Leben stärker verändern wird, als wir uns das heute vorstellen können. Darüber hinaus wird die KI zu einem unverzichtbaren Forschungsinstrument. Die Analyse großer Datenmengen ist für viele Bereiche der Wissenschaft von entscheidender Bedeutung”, bekräftigt Professor Joachim Hornegger, Präsident der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Gast des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses São Paulo (DWIH Sao Paulo). Hornegger wurde als Keynote-Speaker zum Thema Künstliche Intelligenz zur 7. Ausgabe des Deutsch-Brasilianischen Innovationskongresses eingeladen. Die Veranstaltung, eine Initiative der Deutsch-Brasilianischen Industrie und Handelskammer von São Paulo (AHK São Paulo), die vom DWIH unterstützt wird, zielte darauf ab, innovative Geschäfte zu ermöglichen, die mit aufstrebenden Technologien verbunden sind.

 

 

Joachim Hornegger

Der in Mathematik spezialisierte Diplom-Informatiker war im Dezember 2018 Hauptvortragender des jährlich von der Bundesregierung veranstalteten Digital-Gipfels über künstliche Intelligenz mit den Schwerpunkten Produktion, Mobilität und Gesundheit, bei dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel anwesend war.

Künstliche Intelligenz stehe für ihn derzeit im Rampenlicht der Moderne, und man könne nicht voraussagen, wie lange der KI-Hype anhalten werde. Die Konsolidierung und der Siegeszug dieser Technologie seien jedoch sicher: „Für mich als Lehrer für Mustererkennung ist wahr geworden, was ich schon immer gewusst habe: das Fachgebiet, das ich vertrete, ist das wichtigste und faszinierendste von allen”, schließt Hornegger ab.

In einem Interview mit dem DWIH São Paulo bot der FAU-Präsident weitere Einblicke in das Universum der künstlichen Intelligenz.

  • Warum ist dieses Thema so faszinierend? 

Diese Frage kommt mir sehr entgegen: Ich bin von der Ausbildung her Informatiker und seit fast 30 Jahren auf die Mustererkennung, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, spezialisiert. Schon als Student habe ich mich für lernende Systeme begeistern können. Insbesondere die Frage, wie das Sehen und Sprachverstehen funktionieren, fasziniert mich seit jeher. Die KI führt höhere Mathematik und Anwendung zusammen. Es gibt kaum etwas Spannenderes für einen Informatiker.

  • Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Künstliche Intelligenz zurzeit in unserer Gesellschaft?

Die Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Wir erleben einen neuen Hype rund um dieses Thema. Dieser resultiert aus den unglaublich großen Erfolgen von KI-Systemen in verschiedensten Anwendungen. Beispielsweise ist die heute zu beobachtende Leistungsfähigkeit von Spracherkenn-, Dialog- oder Bildanalysesystemen beeindruckend und war noch vor zehn Jahren kaum vorstellbar. Das große Anwendungspotential und die Auswirkungen auf unseren Alltag beschäftigen die Menschen. Rechensysteme können aus großen Datenmengen lernen und das so generierte Wissen nutzen. Das schürt auch Ängste und wirft juristische und ethische Fragen auf. Zu Recht werden die Entwicklungen rund um die KI in unserer Gesellschaft durch eine kritisch-konstruktive Diskussion begleitet.

  • O que podemos esperar dessa nova realidade?

Vor der KI muss man keine Angst haben. Die Entwicklungen müssen aber eng begleitet werden. Nicht alles, was technisch realisierbar ist, sollte den Weg in die Anwendung finden. Nehmen Sie beispielsweise Systeme zur Gesichtserkennung aus Videosequenzen. Diese sollten nicht uneingeschränkt zum Einsatz kommen und beispielsweise zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt werden.

Die kritische Auseinandersetzung mit der KI-Technologie ist aus meiner Sicht wichtiger als bei vielen anderen technischen Entwicklungen der Vergangenheit. Ich gehe davon aus, dass die KI unser Leben weitaus mehr verändern wird, als wir das heute vermuten.

 

  • Welche sind Ihrer Meinung nach die Hauptbereiche, in denen Künstliche Intelligenz Vorteile bringt, und warum?

Es ist unmöglich, die vielen Hauptbereiche für Anwendungen der KI zu benennen.  Für uns alle spürbar wird die KI die Mensch-Maschine-Schnittstelle weiter verändern. Mit Systemen wie beispielsweise Siri oder Alexa ist die Spracherkennung bereits in unseren Alltag eingezogen.

Diktiersysteme ersetzen zunehmend das Eintippen von Texten. Auch das Autofahren ist durch Fahrassistenzsysteme sicherer als noch vor zehn Jahren. Und diese Entwicklungen gehen weiter.

Die KI wird sich auch für die Forschung zu einem unverzichtbaren Werkzeug entwickeln. Die Analyse riesiger Datenmengen ist für viele Wissenschaftsbereiche von fundamentaler Bedeutung. Ich rechne fest damit, dass sich von den Geisteswissenschaften bis hin zur Medizin viele neue Erkenntnisse durch den Einsatz der KI ergeben werden.

  • Welche Herausforderungen stellen sich im Umgang mit KI?

Ich antworte als Wissenschaftler. Es muss noch viel genauer erforscht werden, wo die Grenzen moderner KI-Systeme liegen. Damit verbunden sind viele theoretische Fragestellungen. Insbesondere das unüberwachte Lernen, also das Lernen aus nicht klassifizierten Daten, wird uns noch viele Jahre in der Forschung beschäftigen.

  • Wie können wir besser mit KI umgehen?

Ich betone stets gerne: Wir müssen bei der Verwendung von KI Systemen fehlertolerant, experimentierfreudig und kritisch sein. Wer heute glaubt, autonomes Fahren sei von einigen Herstellern bereits in kommerziell verfügbaren Produkten realisiert, dem empfehle ich eine Probefahrt.

por Ana Paula Katz Calegari