Die Herausforderung, wissenschaftliches Wissen für die Gesellschaft zu „übersetzen”

Um der Gesellschaft wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich und verständlich zu machen, müssen komplexe Zusammenhänge aus der Forschung „übersetzt” und eine Partnerschaft mit den Medien etabliert werden, wobei auf die dem Journalismus und der Wissenschaft eigenen Charakteristika eingegangen werden muss.

Dies waren einige der Schlussfolgerungen der vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo organisierten Podiumsdiskussion „Wahrnehmung der Wissenschaft durch die Gesellschaft”, die im Rahmen des 74. Jahrestreffens der Brasilianischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft (SBPC) am 26. Juli an der Universität Brasília (UnB) stattfand.

Am Gespräch beteiligten sich Renato Janine Ribeiro, ehemaliger Bildungsminister, SBPC-Präsident und Moderator der Podiumsdiskussion; Olaf Kramer, Professor für Rhetorik und Wissensvermittlung an der Universität Tübingen; Sabine Righetti, Professorin für die Studiengänge Wissenschafts- und Kulturvermittlung (Master) und Wissenschaftsjournalismus an der Staatlichen Universität Campinas (Unicamp) sowie Jochen Hellmann, Leiter des DWIH São Paulo und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Brasilien.

Kramer erkennt die Notwendigkeit, über neue Wege nachzudenken, um das allgemeine Wissen im Hinblick auf die Wissenschaft in der Gesellschaft zu vertiefen. „Ich glaube, dass es tatsächlich wichtig geworden ist, diese [wissenschaftlichen] Themen zu übersetzen. Sie sind hochkomplex und müssen unter Zuhilfenahme der verschiedenen kommunikativen Ausdrucksformen von deren jeweiligen Zielgruppen verstanden werden. Wir müssen beispielsweise in den sozialen Medien neue Wege finden, um dort das Wissenschaftssystem populär zu machen. Dabei müssen wir darauf achten, dass die Inhalte an die jeweilige Verbreitungsform angepasst werden”, glaubt Kramer.

Der Professor an der Universität Tübingen hebt bestimmte Punkte hervor, die seiner Meinung nach die Qualität der wissenschaftlichen Kommunikation fördern. Für Kramer sollte der Fokus mehr auf den Verfahren und weniger auf den Forschungsergebnissen liegen; außerdem solle man sich mit Ungewissheiten befassen und öffentliches Engagement durch ein Wissenstransfermodell fördern.

„Wissenschaftler werden oft als von der Gesellschaft losgelöste Wesen betrachtet, und das ist eine große Herausforderung für die wissenschaftliche Kommunikation, ein sehr komplexes Problem. Darauf gibt es keine einfache Antwort, aber es lohnt sich auf jeden Fall, diese Komplexitäten aufzuzeigen, um Ansätze zum Verständnis zu schaffen”, bekräftigt der Wissenschaftler.

Forschung

Die Professorin Sabine Righetti präsentierte die Ergebnisse einer von Agência Bori mit Journalisten und Wissenschaftlern durchgeführten Umfrage zur Wahrnehmung der Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen. Dabei sollte herausgefunden werden, wie beide Seiten jeweils die Arbeit der anderen sehen, um Berührungspunkte zu entdecken, die zur Verbesserung der Beziehung untereinander beitragen könnten.  166 Journalisten und 104 Wissenschaftler wurden für diese Untersuchung befragt.

Viele Journalisten beschwerten sich über ihr Verhältnis zu den Wissenschaftlern. Das Hauptproblem sei, dass Forscher selten für Interviews zur Verfügung stünden, verbunden mit der Tatsache, dass viele nicht mit Fachleuten aus der Presse sprechen wollten. Außerdem stehe die Vorstellung von Zeit bei Journalisten – die normalerweise auf Informationen im selben Moment angewiesen seien – nicht im Einklang mit dem Zeitbegriff der Wissenschaft. Wissenschaftler sehen das anders: die meisten beschwerten sich, dass ein Gespräch mit Journalisten „mit viel Arbeit verbunden” sei, da sich Reporter schlecht darauf vorbereiten würden, wissenschaftliche Sachverhalte zu verstehen. Gleichzeitig böten nur wenige Institutionen ein „Medientraining” für Forschende an oder verfügten teilweise nicht einmal über eine Pressestelle.

Laut Righetti wurde eine weitere Herausforderung identifiziert – der Mangel an Quellenvielfalt. Die Untersuchung zeige, dass normalerweise immer dieselbe Gruppe von Wissenschaftlern (laut Umfrage 12%) von der Presse interviewt werde, wobei Rasse oder Bekanntheitsgrad der Forscher als Auswahlkriterien dienten. „Wir stellen der Presse viele Wissenschaftler vor, aber am Ende wird nur eine kleine Gruppe gehört”, betont die Professorin.

Das Problem liegt für Righetti jedoch nicht nur im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien. „Wahrnehmungsumfragen zeigen, dass die Menschen die Wissenschaft in Brasilien eigentlich mögen und wertschätzen. Aber wir müssen immer daran denken, dass eine Wissenschaftskultur nicht nur über die Informationen aus der Presse entsteht. Wir brauchen auch aufklärende Aktionen.  Wenn wir uns allein mit dem Verhältnis zu den Journalisten befassen, werden die Probleme nicht gelöst”, schließt  sie ihren Beitrag ab.

Jochen Hellmann wiederum weist darauf hin, dass ein erleichterter Zugang zum Wissen der Forschung nicht ihre Ernsthaftigkeit nehme. „Wissenschaftskommunikation bedeutet nicht, die Qualität der Arbeit zu verwässern, man muss nur berücksichtigen, dass es sich um eine andere Zielgruppe handelt. Und das ist nicht einfach”, bekräftigt Hellmann.

Internationalisierung und Verwendung anderer Sprachen

Der Leiter des DWIH São Paulo und des DAAD in Brasilien ging auch auf die Sprachen ein, die bei der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Artikeln verwendet werden. Der Wunsch und die Notwendigkeit, die Ergebnisse zu internationalisieren, führe dazu, dass viele Forscher ihre Arbeit auf Englisch veröffentlichten, auch wenn dies nicht ihre Muttersprache sei, was in manchen Fällen sogar die lokale Verbreitung der Forschung beeinträchtige. Als Beispiel nannte er Deutschland.

„Viele Wissenschaftler sind nicht in der Lage, ihre Forschungsergebnisse der breiten Öffentlichkeit auf Deutsch zu erklären. Wir profitieren zwar von der Internationalisierung, müssen aber darauf achten, ob wir die Forschung auch auf Deutsch erklären können, und das ist leider nicht immer selbstverständlich”, betont Hellmann.

Laut Janine Ribeiro ist es insbesondere in den Geisteswissenschaften im Vergleich zu den exakten und biologischen Wissenschaften schwieriger, Ideen in anderen Sprachen auszudrücken. „Wir drücken uns in den Humanwissenschaften auf eine ganz andere Weise aus, als in den exakten und biologischen Wissenschaften. Ein geisteswissenschaftlicher Artikel setzt ein viel umfangreicheres Vokabular und eine komplexere Syntax voraus. Das erschwert eine vereinfachte Darstellung und eine spätere Übersetzung.”

Es sei wichtig, dafür zu sorgen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in der Gesellschaft positiv zur Kenntnis genommen würden. „Es muss deutlich werden, wie sich Wissenschaft im Leben der Menschen auswirkt und wie sich ihr Leben zum Besseren verändert. „Wenn es uns gelingt, dass Menschen Zugang zu diesem Wissen haben, wird die Wissenschaft zukünftig sicherlich eine wichtigere Rolle in ihrem Leben spielen”, glaubt der SBPC-Präsident.

Unabhängig davon, auf welche Weise wissenschaftliche Erkenntnisse verbreitet werden, hält Janine Ribeiro es für wichtig, dass die Wissenschaft in der Öffentlichkeit einen Stellenwert besitzt, der ihrer gesellschaftlichen Relevanz entspricht. „Ich denke, dass Wissenschaft weniger eine Frage der Staatspolitik sein sollte, sie muss eher gesellschaftspolitisch behandelt werden. Und wir müssen sicherstellen, dass die Gesellschaft die Bedeutung der Wissenschaft versteht und wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Entscheidungen einbezieht”, schließt er seine Betrachtung ab.