Herausforderungen in der Stadtentwicklung und Mobilität sind Thema von Online-Event

In der letzten Ausgabe der Veranstaltungsreihe DWIH São Paulo Online Talks 2021 diskutieren Experten aus Brasilien und Deutschland über Probleme und Lösungen, die sich durch den Zuwachs in den Städten hervortun.

Von überfüllten Bussen bis hin zu unfreiwilliger Umsiedlung der ärmeren Gesellschaftsschichten in die Peripherien. Die Probleme in der Stadtentwicklung und der Mobilität, die man bereits am Anfang der Pandemie wahrnahm, sind weiterhin in den großen globalen Städten präsent. Dies war eines der Fazits der online Veranstaltung Auswirkungen der Pandemie auf Stadtentwicklung und Mobilität”, die am Freitag, den 12. November, vom DWIH São Paulo in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) veranstaltet wurde.  

Mit Fokus auf nachhaltiger Stadtentwicklung und Mobilität präsentierte das letzte Event der Veranstaltungsreihe “Gesellschaft im Wandel: Folgen der Pandemie” die Sichtweise von Professor Márcio D’Agosto, Professor für Verkehrsingenieurwesen der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro (UFRJ), und von Professor Rainer Wehrhahn des Geographischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.  

Für die beiden Experten gibt es eine eindeutige Korrelation zwischen der Notwendigkeit von öffentlichen und privaten Investitionen in die Stadtmobilität und der Gentrifizierung der Städte. „Ursprünglich konzentrierten sich im Zentrum der Städte sowohl Betriebe und Gewerbe als auch Wohnungen, aber mit der Zeit zog die Bevölkerung, die in den Stadtzentren wohnte, in die Peripherie, wo die Wohnpreise erschwinglicher sind”, beschrieb Professor D’Agosto.   

Jedoch, so hob der brasilianische Ingenieur hervor, sind die Möglichkeiten auf Erwerbstätigkeit nicht homogen über die Stadt verteilt. Dies führt dazu, dass der bedürftigere Teil der Gesellschaft von der öffentlichen Infrastruktur der Mobilität abhängt, um vom Wohnort zum Arbeitsplatz zu pendeln.  

„Die Forschungen zeigen, dass Pendeln in Brasilien im Grunde über die öffentlichen Verkehrsmittel (Stadtbusse) und das Auto stattfindet”, betonte er. Laut des Professors kann die Spannweite dieses Pendelns bis zu 30 km erreichen, und durch die niedrigen Investitionen in die Stadtmobilität in den brasilianischen Metropolen bedingt, verlieren die Pendler bis zu zwei bis drei Stunden täglich auf dieser Strecke.

 

Stadtmobilität kostet nicht nur Geld, sondern verlangt auch einen hohen Zeitaufwand. Dies ist das Problem, vor allem für die ärmeren Gesellschaftsschichten”, hob Professor Wehrhahn der Universität zu Kiel hervor. Um diese Auswirkung in den deutschen Städten zu reduzieren, verteidigt der Professor die Verwendung von öffentlichen Geldern im öffentlichen Nahverkehr. Er bemerkte auch, dass es in Deutschland viele Förderungen für die Automobilindustrie zuungunsten des öffentlichen Verkehrs gibt. Momentan fördert die deutsche Regierung den Kauf von Elektroautos mit vier Milliarden Euro, Fördergelder, die an die Mittel- und Oberschicht gehen.” 

Das finanzielle Kapital und der Verlust von Besitz

Aus Sicht des Professors ist die Gentrifizierung eng mit dem Prozess der Besitzverluste verbunden, welcher vom Finanzkapitalmarkt veranlasst wird und der Professor Finanzialisierung der Stadtentwicklung nennt. In Deutschland gab es mit dem Zuwachs an Immobilienspekulation einen Anstieg der Mieten, vor allem in den großen Metropolen”, betonte er. In Berlin, so der Professor, sind 84% der Wohnungen vermietet. Es ist heutzutage sehr schwierig, diese Art der Wohnform, zur Miete in Städten, zu finden, da die Mietpreise enorm sind und das Angebot sehr klein.” 

Wehrhahn erklärte, dass dieser Anstieg der Mietpreise in den Großstädten Ergebnis des Wandels der Innenstädte ist, der vom Finanzkapitalmarkt hervorgerufen wurde. „Diese privaten Gelder kaufen ganze Wohnblocks, die, im Falle von Deutschland, vorher vom Staat verwaltet wurden. Sie reißen alles herunter und bauen teurere Wohnungen”, beteuerte er.  

In Rio de Janeiro konnte man jüngst mit dem Bau des Olympiaparks und der Revitalisierung des Zentrums für die Durchführung von den Sportveranstaltungen der Weltmeisterschaft (2014) und Olympia (2016) eine neue Gentrifizierung bemerken. Laut D’Agosto veränderten diese Veranstaltungen das Profil der Besiedlung.  

Gemäß einer Studie, die von der Stadtkommission der Weltmeisterschaft und der Olympiade selbst bekannt gemacht wurde, wurden zwischen 2009 und 2015 mehr als 22 Tausend Familien für den Bau der Sportveranstaltungsstätten zur Räumung gezwungen. Dieser Prozess begünstigte Immobilien- und Tourismusanlagen, indem sie die Immobilienspekulation in Nähe der Sportstätten nährte.  

Laut Wehrhahn des Geografischen Instituts der Universität zu Kiel zeigt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik Deutschland den Zuwachs der Kluft zwischen Arm und Reich. “Wir beobachten einschließlich des Ausschlusses bildungsferner Familien, Generation über Generation, dass diese Familien immer weiter verarmen und weniger am sozialen Leben der Städte teilnehmen. Dies in einem Land, so reich wie Deutschland, ich will gar nicht daran denken, wie es in Brasilien sein muss.”   

Der deutsche Forscher betonte zu Schluss noch, dass diese Finanzierung der Wohnungen eine soziale und städtische Vulnerabilität provoziert, die außerdem die Nachhaltigkeit der Städte beeinflusst. „Dies bringt Umweltrisiken wie Überflutung mit sich, die kürzlich vor allem im Norden Deutschlands auftraten, bei denen Menschen sogar ihr Leben verloren”, verdeutlichte er.   

Für den Professor der UFRJ, D’Agosto wird die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten nach der Pandemie eine einmalige Chance sein, um den öffentlichen Nahverkehr neu zu organisieren und die Auswirkungen auf die Bevölkerungsgruppen, die von den Stadtregionen mit wirtschaftlichen Zentren vertrieben wurden, zu minieren. In Brasilien verteidigte der Professor den Gebrauch von Schienenverkehr, eine Lücke im ganzen Land, und Investitionen in neue Omnibus-Flotten.