Von der angewandten Forschung zum Entrepreneurship – welche Wege gibt es?

100% pflanzliche Steaks, aber vom Geschmack und der Konsistenz her vom Fleisch nicht zu unterscheiden; Lebensmittel aus dem 3D-Drucker; Gemüsegetränke sensorisch und ernährungsphysiologisch ähnlich der Kuhmilch; Speiseeis auf rein pflanzlicher Basis. Hirngespinste? Nein! Das sind Innovationen, die auf dem Lebensmittelsektor bereits existieren und wirtschaftlich immer bedeutender werden.

Die Bioökonomie führt uns, was die Wertvorstellungen betrifft, mit ihren neuen Verfahrensweisen über die Schaffung neuer Produkte und Abläufe zu einem Übergangsprozess, zu einer Revolution in der Lebensmittelproduktion. Aber wie können diese Innovationen auf den Markt gelangen? Wie können junge Forscher und Wissenschaftler aus diesem Universum an Möglichkeiten einen Nutzen ziehen und Unternehmer werden?

Dies waren die zentralen Fragen einer Veranstaltung, die am 6. und 7. November in den Räumlichkeiten des Instituts für Lebensmitteltechnologie (ITAL) in Campinas stattfand – der Workshop “New Business Opportunities in Bioeconomy: How to Start a Profitable Business”. Das Event wurde gemeinsam durch das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung, IVV und Agropolo Campinas-Brasil organisiert. Gefördert wurde der Workshop von der Stiftung zur Forschungsförderung des Bundeslandes São Paulo (FAPESP) sowie vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus São Paulo (DWIH São Paulo) sowie anderer Institutionen.

An der Veranstaltung nahmen insgesamt 103 Personen teil, in ihrer großen Mehrheit Wissenschaftler und Forscher, die sich für das Unternehmertum interessierten. Der Workshop bot Vorträge nicht nur von Vertretern der oben genannten Veranstalter, sondern auch von Institutionen aus dem Bereich der Bioökonomie, darunter Green Rio, IP Desenvolvimento Empresarial e Industrial, dem deutschen Bioökonomierat (BÖR),  CENPEM Venture Hub, den Unternehmen Elosun, Cervejaria Leuven, Life Company und Wylinka sowie der Associação Campinas Startups. Passend zum Anlass wurde eine sogenannte „Pitch-Session“ durchgeführt, ein Projekt- und Forschungswettbewerb, zu dem Projekte der Startups Neofish, Fitomap, Cropman, VeggieZinc und Bamboo Water Filter vorgestellt wurden. Als Sieger ging das Projekt von Fitomap hervor, das vom Unicamp-Forscher Jaime Armando Delgado Vargas (Bild: vierter von links) entwickelt wurde und sich mit dem auf künstliche Intelligenz gestützten Forschungsthema “Phenotype maps of coffee plantation” beschäftigte.

Die Vortragenden präsentierten anhand von Beispielen aus der eigenen Praxis, wie es möglich ist, ausgehend von der wissenschaftlichen Idee ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Der Schwerpunkt lag auf der Vermittlung von Information für potenzielle Gründer und in konkreten Hilfestellungen für geplante Unternehmensgründungen. Es wurden Probleme angesprochen, die bei Ausgründungen aus wissenschaftlichen Einrichtungen auftreten können, Fragen zu Markt und Wettbewerb diskutiert, die Bedeutung von Risikokapital erörtert und Fehler vorgestellt, die in vielen Start-ups zum vorzeitigen Scheitern führen können. Das Ziel war es, einen detaillierten Überblick über die einzelnen Stufen einer Gründung zu geben.

PD Peter Eisner, Leiter des Fraunhofer Instituts IVV, stellte das Unternehmen Prolupin GmbH vor, das er gemeinsam mit anderen Forschern des Instituts im Jahr 2010 gegründet hatte. Die Firmengründung stützte auf einer Idee, die die Forscher seit über 10 Jahren verfolgten, nämlich eiweißhaltige Bestandteile aus den Samenkörnern von Lupinen (Lupinus albus) in nennenswertem Ausmaß zu extrahieren. Die nach der Entwicklung eines neuartigen Extrahierverfahrens gewonnenen Proteinisolate wiesen überaus interessante techno-funktionelle Eigenschaften auf, mit denen sie erfolgreich als Ersatz für tierische Proteine wie Eier und Fleisch  in veganen Produktalternativen Einsatz fanden. Ein wichtiger Schritt zum ökonomischen Erfolg dieses Spin Offs war die im Jahr 2011 erfolgte Markteinführung des laktosefreien Speiseeises „Lupinesse”, welches das von der Prolupin GmbH hergestellte Lupinenproteinisolat (LPI) beinhaltet. Maßgeblich beteiligt am kommerziellen Erfolg war die Einzelhandelskette Edeka Südbayern. Neben dem Speiseeis umfasst das Produktportfolio Brotaufstriche, Joghurts und Getränke.

Die Veranstaltung hob auch die Bedeutung der Startups für die Wirtschaft des Landes hervor. Dr. Flávio Grynszpam, einer der Koordinatoren des Forschungs- und Innovationsbereiches der FAPESP bekräftigte diesen Trend: „Startups dürfen nicht wie Kleinunternehmen behandelt werden, denn sie werden wachsen, sie sind Vektoren einer weltweiten Veränderung.”

Dr. Raffael Osen, Abteilungsleiter bei Fraunhofer IVV und verantwortlich für die Entwicklung von Lebensmittelverfahren sowie Mitbegründer des Unternehmens Amidori, verwies auf die Frage der Motivation. Für Osen sei es äußerst wichtig, dass ein Wissenschaftler an seine Idee und die Technologie glaube, die er auf den Markt bringen wolle.

Der Workshop beschäftigte sich außerdem mit der Bedeutung der disruptiven Innovation. Keynote-Sprecherin Prof. Hannelore Daniel, Mitglied des Deutschen Bioökonomierats, wies darauf hin, dass im Jahr 2050 etwa 70% der Weltbevölkerung in großen oder mittelgroßen Städten leben werde, was eine große Herausforderung für eine nachhaltige Verteilungslogistik darstelle. Es brauche urbane Produktionszentren mit entsprechend groß dimensionierten vertikalen Farmen bzw. dezentrale Produktion im Containment (Indoor). Die Logistik müsse auf alte und neue Infrastruktur gründen, die umweltfreundlich und vernetzt arbeitet; dazu zählen, laut Prof. Daniel, auch autonome Liefer-Roboter.