Indigenes Wissen und wissenschaftliche Kommunikation als Schlüssel gegen Fehlinformationen
© Mapa Fotografia/Rogério von Krüger
Das zweite Panel der Veranstaltung „Stimmen für das Klima: Medien, Wissenschaft und Bildung im Kampf gegen Desinformation“, die am 11. August im Forum für Wissenschaft und Kultur der Bundesuniversität Rio de Janeiro (UFRJ) stattfand, diskutierte, wie indigenes und wissenschaftliches Wissen zum Kampf gegen Desinformation im Umweltbereich beitragen können. Für die Expertinnen und Experten ist es dabei entscheidend, diese Wissensformen zu respektieren und die Effektivität der wissenschaftlichen Kommunikation zu erhöhen.
Teil der Runde, die erneut vom Journalisten André Trigueiro moderiert wurde, waren Erisvan Guajajara, ebenfalls Journalist und Gründer des Kollektivs „Mídia Indígena“, , Dr. Jochen Schöngart, Forscher am Nationalen Institut für Amazonasforschung (INPA), Dr. Mercedes Bustamante, Biologin und Professorin an der Universität Brasília (UnB) sowie Tainá de Paula,Umwelt- und Klimadezernentin der Stadt Rio de Janeiro.
Zum Auftakt des Panels betonte Herr Trigueiro, dass die Gesellschaft die „Abneigung gegenüber der Kultur und dem, was sie repräsentiert“ – gemeint sind indigene Völker und ihr Wissen – überwinden müsse. Der Aktivist der Guajajara, Erisvan, schilderte, wie das Kollektiv Mídia Indígena versucht, die kommunikative „Blase“ zu durchbrechen. „Das Kollektiv ist in allen Biomen aktiv und stärkt die Kommunikation heute aus unserer Perspektive, unserer Realität, dem Wissen unserer Ältesten. Sie sind unsere Bibliotheken des Wissens. Es bringt nichts, nur für uns selbst zu sprechen. Wir führen Kampagnen durch, entwickeln Strategien, um unsere Blase möglichst weit aufzubrechen, und wir kooperieren mit Künstlern, damit sie sich unserem Kampf anschließen.“
Für Erisvan bedeutet indigene Kommunikation immer auch, von Widerstand zu sprechen. „Es ist der Widerstand unserer Völker im Lauf der Zeit, es ist der Kampf, die Farben, der Urucum, der Jenipapo, jene lebendige Kultur, die in unseren Territorien fortbesteht und die nur wenige kennen. Kommunikation bedeutet heute, unsere Realität zu verstehen – eine Kommunikation, die aus unserem Territorium hinaus in die Welt getragen wird. Eine Kommunikation, die nicht käuflich ist und daran glaubt, dass sie noch in der Lage ist, das Leben auf diesem Planeten zu retten.“
Blick nach außen
Auch Dr. Schöngart sprach sich dafür aus, stärker „nach außen“ zu kommunizieren – das heißt: über die wissenschaftliche Gemeinschaft hinaus. Viele Jahre sei die wissenschaftliche Kommunikation stärker nach innen gerichtet gewesen, sagte er. Heute sei es zwar wichtiger denn je, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, doch mangele es dafür oft an spezifischer Ausbildung und finanziellen Mitteln. Deshalb plädierte der INPA-Forscher für Partnerschaften mit Journalistinnen und Journalisten, um wissenschaftliche Inhalte verständlich und wirkungsvoll zu vermitteln.
„Ich erinnere mich: Als ich 1988 im Amazonasgebiet ankam, äußerten viele Wissenschaftler noch Vorbehalte, ob sich das Klima in der Region wirklich verändern würde – wegen fehlender Daten. Heute verfügen wir über diese Daten und wir haben die Ergebnisse. Was uns jedoch fehlt, sind die Mittel, um dieses Wissen effizient und gezielt an jene Gruppen zu vermitteln, die es am dringendsten benötigen. Ein großer Teil der Wissenschaft wird mit öffentlichen Geldern finanziert, und wir erbringen damit einen öffentlichen Dienst. Doch dieser Dienst wird nicht ausreichend dafür genutzt, öffentliche Politiken zu entwickeln und umzusetzen, die für die Zukunft kommender Generationen entscheidend sind.Wie es im indigenen Sprichwort heißt: Wir erben das Land nicht von unseren Vorfahren, wir leihen es uns von unseren Kindern.“
Auch Dr. Bustamante sprach sich für die Professionalisierung der Wissenschaftskommunikation aus, um wissenschaftliche Inhalte für die Gesellschaft verständlicher zu machen. „Wir können gut untereinander, unter Wissenschaftlern.Aber der Dialog mit unterschiedlichen Gruppen gelingt uns oft nicht. Wir müssen die Kommunikation weniger amateurhaft gestalten, die Entscheidungsträger ansprechen und verstehen, wie wir mit verschiedenen Gruppen kommunizieren können. Dabei geht es darum, Fachjargon zu vermeiden, ohne den wissenschaftlichen Gehalt zu verlieren. Qualität bewahren, aber in einer zugänglichen Sprache.“
Dr. Bustamante betonte zudem, dass Wissenschaft ein kollektives, vernetztes Projekt sei. Bildung sei die wichtigste Waffe gegen Unwissenheit – und deshalb müssten alle Disziplinen, ob in der Schule oder an den Universitäten, den Klimawandel und seine ethischen sowie gesundheitlichen Implikationen thematisieren. „Was wird mit unserer Biodiversität geschehen? Was wird mit dem Regenregime geschehen? Die Veränderungen sind umfassend und erfordern Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen. Ein Mediziner, der heute die Universität verlässt, muss den Klimawandel verstehen – genauso wie ein Jurist.“
Politische Dimension
Die Umwelt- und Klimadezernentin der Stadt Rio, Tainá de Paula, betonte, dass Klimafragen im Kern politische Fragen seien, da die Menschheit im Anthropozän lebe – einer Epoche, in der menschliche Entscheidungen letztlich bestimmen, welche Arten überleben und welche aussterben. Das eigentliche Problem, so Frau de Paula, liege in der Logik des Kapitalismus. „Diese Entscheidungen haben uns auf einen Weg ohne Rückkehr geführt, auf dem die Armen, die Menschen in Randgebieten, in den Favelas, die Schwarzen, die Indigenen, die ursprünglichen Völker zuerst sterben – und sie sterben bereits jetzt zuerst“, sagte sie.
Als Befürworterin einer breiteren Beteiligung unterschiedlicher Stimmen im Klimadiskurs nannte Tainá de Paula zwei Initiativen der Stadtverwaltung von Rio als Beispiele. „Wir haben ein Umweltbildungsprogramm gestartet, das auf den Stimmen von Frauen aus Randgebieten basiert. Außerdem haben wir das Programm ‚Jovens Negociadores pelo Clima‘ (Junge Klimaverhandler) ins Leben gerufen, in dem Jugendliche die Stadt auf internationalen Konferenzen zu Klima- und Umweltthemen vertreten. Es ist entscheidend, neue Stimmen zu schaffen und auszuwählen, neue Blickwinkel zu verstehen. Denn es ist unmöglich, eine Zukunft der Verhandlungenund Allianzen auf der Basis des Bestehenden aufzubauen, wenn wir nicht dieses Bewusstsein von Grund auf erneuern. Wir müssen über unsere Arbeit und unseren Konsum sprechen. Wir müssen verstehen, welche neuen Prioritäten diese Welt des 21. und des bereits anbrechenden 22. Jahrhunderts hat.“
Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Climate Talks – Brasilien-Deutschland im Dialog“, die von der Deutschen Botschaft organisiert wird. An der Ausgabe in Rio beteiligten sich als Organisatoren DAAD Brasilien, das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo, das Postgraduiertenprogramm für kreative Medien (PPGMC/UFRJ) sowie das Deutsche Generalkonsulat Rio de Janeiro.
Text: Rafael Targino