DWIH São Paulo wird 10 Jahre alt und wächst ständig weiter

© Nando Costa/DWIH São Paulo

Seit einem Jahrzehnt fördert die Institution den Wissensaustausch und neue Kooperationen, um über Wissenschaft und Innovation Lösungen für die großen Herausforderungen der Menschheit zu finden.  

Im Februar 2022 sind 10 Jahre vergangen, seit das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo seine derzeitigen Räumlichkeiten eingeweiht hat und in seinen Büros Vertretungen von unterstützenden Organisationen eingerichtet wurden. Seitdem hat sich das Zentrum als Schaltstelle zwischen Brasilien und Deutschland etabliert, und die Zahl der assoziierten deutschen Wissenschafts- und Innovationseinrichtungen wächst ständig weiter. So wird das DWIH im Jubiläumsmonat die Mitgliedschaft von zwei weiteren deutschen Hochschulen bekannt geben.

Mit insgesamt 27 assoziierten Organisationen zum Jubiläumsmonat weist das DWIH São Paulo innerhalb des DWIH-Netzwerks die breiteste Palette von aktiven Verbindungen im deutschen Hochschul-, Wissenschafts- und Innovationssystem auf. Die 2009 vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufenen deutschen Zentren haben das Ziel, Deutschland als „Land der Ideen”, also als idealen Wissenschafts- und Technologiestandort zu präsentieren sowie Synergien und den Austausch zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen Deutschlands und den Ländern, in denen diese DWIHs eingerichtet wurden, zu fördern.

Das DWIH São Paulo, das einzige in Lateinamerika und in der südlichen Hemisphäre, ist Teil eines expandierenden Netzwerks, das im Jahr 2022 mit sechs Niederlassungen auf drei Kontinenten vertreten sein wird. Zu den ersten Einrichtungen in New York, Tokio, Neu-Delhi, Moskau und São Paulo kommt in diesem Jahr eine weitere hinzu, das DWIH San Francisco. Die Präsenz der Metropole São Paulo im Netzwerk wird dem deutschen Interesse für das hohe Niveau des brasilianischen Hochschul-, Forschungs- und gerecht. Die Einweihung des DWIH São Paulo war ein Meilenstein für eine neue Phase der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Erste Schritte

Das erste Implementierungsbüro des DWIH São Paulo wurde in der deutsch-brasilianischen Industrie und Handelskammer São Paulo (AHK São Paulo) eingerichtet und nahm seine Tätigkeit im Jahr 2009 auf. Drei Jahre lang bestand die Aufgabe des Büros darin, den besten Standort für die endgültige Installierung des DWIH zu definieren, seinen Aufbau voranzutreiben und sich in das Wissenschafts- und Innovationsszenario einzuarbeiten, um die ersten Partnerschaften und Veranstaltungen in die Wege zu leiten; Ziel dieser ersten Phase war es auch, deutsche Wissenschaftsorganisationen dafür zu gewinnen, ein Büro in der künftigen Zentrale des DWIH einzurichten.

Als erste deutsche Unterstützer-Hochschule des DWIH São Paulo installierte die Freie Universität Berlin (FU Berlin) im Jahr 2010 noch in der Implementierungsphase ein Vertretungsbüro in São Paulo.

Der Standort eines DWIH in São Paulo war und ist Teil eines strategischen und relevanten Projekts der deutschen Bundesregierung. Die Anwesenheit hoher staatlicher Repräsentanten, wie der Bundespräsident, der Außenminister sowie der Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, in wichtigen Augenblicken der Implementierung unterstreicht die Bedeutung dieser Initiative für die größte Volkswirtschaft Europas.

Das Projekt wurde auch von brasilianischer Seite begrüßt. Bei der Einweihung des Hauptsitzes im Transatlantischen Unternehmenszentrum im Süden São Paulos war der damalige Präsident des Nationalrats für Wissenschaftliche und Technologische Entwicklung (CNPq), Glaucius Oliva, zugegen.

„Die deutsch-brasilianische Wissenschaftswelt richtete damals ihr Augenmerk auf die Einweihung des DWIH-Standorts in São Paulo, es war ein sehr wichtiger Moment in der Geschichte beider Länder”, erinnert sich Thomas Timm, Hauptgeschäftsführender der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer São Paulo (AHK São Paulo ), der das Implementierungsprojekt leitete. Zwei Kriterien seien für ihn bei der Standortbestimmung ausschlaggebend gewesen: die Nähe zu Universitätszentren und zu großen Unternehmen in der Metropole São Paulo.

Mit der Eröffnung des Zentrums übergab die AHK die Leitung des DWIH São Paulo an den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). „Wir haben unsere Expertise und unser Netzwerk zunächst genutzt, um den Ausbau der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Institutionen beider Länder zu festigen. Gleichzeitig haben wir Kontakte zu Unternehmen und neuen Gesprächspartnern aus dem Bereich Unternehmertum und Innovation geknüpft”, erläutert Dr. Jochen Hellmann, derzeitiger Direktor des DAAD in Brasilien und des DWIH São Paulo.

„Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft war innerhalb Brasiliens immer schon ein schwieriges Anliegen, und das DWIH kam mit dem Ziel, diese Förderung auf bilateraler Ebene zwischen Deutschland und Brasilien zu betreiben, was eine noch größere Herausforderung darstellt. Andererseits haben wir vor zehn Jahren zu einem günstigen Zeitpunkt begonnen, mit einer wachsenden Wirtschaft, mit vielen Investitionen in Wissenschaft und Technologie und mit der Schaffung eines rechtlichen Rahmens zur Innovationsförderung und der schnellen Entwicklung des Unternehmertum-Ökosystems. Und obwohl das Land in den letzten Jahren eine Wirtschaftskrise erlebt hat und die Investitionen in die Forschung zurückgegangen sind, sind wir zuversichtlich, dass sich die Situation bald wieder verbessern wird, denn das Umfeld für das Unternehmertum ist weiterhin ausgesprochen positiv”, analysiert Marcio Weichert, Koordinator des DWIH São Paulo die aktuelle Lage.

Das DWIH bringt beide Seiten auf Veranstaltungen zusammen und sucht gleichzeitig den individuellen Kontakt, um Forscher aus der Wissenschaft, Innovatoren in der Wirtschaft und junge Unternehmer aus Brasilien und Deutschland, anzuregen, die Zusammenarbeit, den Wissenstransfer und die Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen, die auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basieren, voranzutreiben.

Netzwerkbildung und Best Practices

Nach einer weltweiten bis 2014 andauernden Pilotphase wurden alle DWIH-Einrichtungen einer internationalen externen Evaluierung unterzogen. Der Deutsche Bundestag gab seine Zustimmung und beschloss ihre Organisation in einem Netzwerk unter einer einzigen Leitung – bis dahin wurde das Netzwerk von verschiedenen deutschen Institutionen betrieben – und mit einer langfristigen institutionellen Förderung. 2017 wurde der DAAD mit der Leitung dieses Netzwerks beauftragt, das zudem eine neue Struktur mit Kuratorium und Programmausschuss erhielt, in der die Segmente des sogenannten Triple-Helix-Modells vertreten sind: Staat, Wissenschaft und Wirtschaft.

Jedes DWIH erhielt zudem einen lokalen Rat, in dem alle unterstützenden deutschen Institutionen sowie das Außenministerium und die deutsche Geschäftswelt, repräsentiert durch die AHK São Paulo, vertreten sind. Im DWIH São Paulo war dieser Schritt bereits vollzogen worden. Es war eine der vielen Best Practices der brasilianischen Einrichtung, die an das gesamte Netzwerk weitergegeben wurde.

Die Erweiterung des Kreises der Kooperationspartner der DWIH-Einrichtungen auf Institutionen ohne Repräsentanten und eigene Büros in den jeweiligen Ländern (die sogenannten assoziierten Unterstützer), monatliche Treffen der Leitung und Abstimmung mit den Kooperationspartnern (hybrid per Videokonferenz) sowie Entscheidungsprozesse von unten nach oben unter Einbeziehung der Unterstützer in die Gestaltung von Veranstaltungen, die Definition von Themen und die Vorauswahl von Rednern, waren ebenfalls von der Koordination in Brasilien eingeführte Verfahren, die sich bewährten und von anderen DWIH-Einrichtungen übernommen wurden.

Um seine Ziele zu erreichen, nämlich den wissenschaftlichen Austausch zwischen Brasilien und Deutschland zu verstärken sowie Vertreter aus Wissenschaft und Industrie in Brasilien zusammenzubringen, hat das DWIH São Paulo in diesen Jahren Schritt für Schritt ein Programm mit eigene Aktivitäten und andere auf Initiative interner und externer Partner aufgebaut. Zu diesen Initiativen gehören die bereits im Eröffnungsjahr lancierte Reihe „Deutsch-Brasilianischer Dialog über Wissenschaft, Forschung und Innovation”, die Organisation der deutschen Vertretung beim Jahrestreffen der Brasilianischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft (SBPC) sowie der Deutsch-Brasilianische Kongress für Innovation und Nachhaltigkeit.

Eine der wichtigsten Partnerschaften des DWIH São Paulo wurde 2015 die mit der Forschungsförderungsstiftung des Bundesstaates São Paulo (Fapesp) geschlossen, die seitdem maßgeblich an der Gestaltung des Deutsch-Brasilianischen Dialogs beteiligt ist. Hinzu kommen die ebenfalls im Jahr 2015 beschlossene Zusammenarbeit mit der Brasilianischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft (SBPC), deren institutioneller Partner das DWIH seit 2020 ist, und, last not least, die enge Zusammenarbeit mit der AHK São Paulo.

Deutschland-Brasilien-Jahr 2013-2014

Die Vorbereitung und Durchführung des wissenschaftlichen Programms Deutschland-Brasilien-Jahr 2013-2014 war gleich im Eröffnungsjahr eine der großen Herausforderungen des DWIH São Paulo. Unter dem Motto „Wenn Ideen zusammentreffen” würdigten Brasilien und Deutschland im Deutschland-Brasilien-Jahr 2013/2014 ihre lange Geschichte der Freundschaft und der guten Beziehungen. Das DWIH São Paulo koordinierte und unterstützte dabei rund 140 Projekte, von denen 65 durch seine Vermittlung Zuschüsse der deutschen Bundesregierung erhielten.

In beiden Ländern wurden durch die Aktivitäten in diesen zwölf Monaten schätzungsweise 50 Millionen Menschen erreicht. Einer der Höhepunkte des wissenschaftlichen Programms dieser Veranstaltung war der auf Initiative des DWIH in São Paulo ausgestellte Max Planck Wissenschafts-Tunnel. Die Ausstellung erhielt mehr als 39.000 Besucher, ein Publikumsrekord unter den mehr als 20 Ländern, in denen der Tunnel seit dem Jahr 2000 bereits ausgestellt worden war.

Wichtige wissenschaftliche Debatten des DWIH São Paulo und seiner Partner

Saubere Energien, Bioökonomie, Industrie 4.0, Digitalisierung, Präzisionstechnologie in der Landwirtschaft, Smart Cities, Klima, Mobilität, Medizin und Gesundheit, Zugang zur Bildung, soziale Ungleichheit, Überalterung der Bevölkerung, komplexe Systeme, Demokratie, Wirtschaft, öffentliche Politik, Radikalisierung und Menschenrechte.  Dies waren einige der aktuellen Themen, die das DWIH São Paulo in den ersten zehn Jahren seines Bestehens diskutiert bzw. gefördert hat.

Durch die Aufarbeitung von Themen wie den obengenannten, die im Brennpunkt der Diskussionen um Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft stehen, leistet das DWIH São Paulo einen Beitrag zum Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen an Wirtschaft, Gesellschaft und öffentliche Verwaltung. Seit 2012 engagiert sich die Institution für die Wissenschaft als Lösungsgrundlage für die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Es könnte auch gar nicht anders sein. Die Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, der Wissensaustausch sowie der Aufbau von Netzwerken von Forschern und Innovatoren – all das hat sich im letzten Jahrzehnt als ausgesprochen fruchtbar erwiesen.

Revolutionen angetrieben von wissenschaftlichen Debatten

Als sich beispielsweise das DWIH-Netzwerk São Paulo im Jahr 2018 mit Themen wie Digitalisierung der Arbeit und Industrie 4.0 auseinandersetzte, erschien dies weit entfernt von der Realität der meisten Unternehmen in Brasilien. Doch vier Jahre später sind sich Unternehmer und Investoren einig, dass man ohne die Digitalisierung von Prozessen bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein kann – und die Pandemie hat dies noch deutlicher gemacht. Laut dem Digital Transformation Index (DT Index 2020) haben etwa 87,5% der in Brasilien ansässigen Unternehmen während der Covid-19-Krise eine Initiative zur digitalen Transformation durchgeführt.

Das Innovationsökosystem beider Länder wurde nicht nur von neuen Technologien angetrieben, sondern auch von einer bewussteren Denkweise der Verbraucher. Die sogenannte Grüne Wirtschaft, die mehrfach auf Veranstaltungen des DWIH São Paulo und seiner Kooperationspartner diskutiert wurde, gewann sowohl auf der politischen als auch auf der wirtschaftlichen Agenda an Bedeutung.

Laut einer vom IBM Institute for Business Value durchgeführten Erhebung, bei der mehr als 14.000 Menschen in neun Ländern, darunter Brasilien und Deutschland, befragt wurden, erklärten 55% der Verbraucher weltweit, dass sie bereit seien, aus eigener Tasche mehr für nachhaltigere Produkte und eine bessere Zukunft zu zahlen.

Die Studie zeigt auch, dass die Bedenken hinsichtlich des Klimawandels und die Bereitschaft zur Verwendung weniger umweltbelastender Produkte zunehmen. Zwischen den Ländern ist ein technologischer Wettlauf um die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen mit geringeren Treibhausgasemissionen im Gange, aber es gibt auch viele bilaterale Projekte, z. B. zwischen Brasilien und Deutschland, und zahlreiche neue Tätigkeitsfelder in der Grünen Wirtschaft.

„Kurz gesagt, das DWIH São Paulo feiert sein erstes Jubiläum mit der Überzeugung, bisher einen wichtigen Beitrag für Wissenschaft und Gesellschaft geleistet zu haben, aber auch mit dem Bewusstsein, dass in den Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland noch viele andere Ziele erreicht werden müssen”, bekräftigt DWIH-Leiter Hellmann.