Workshop zur Geschichte des Nahen Ostens eröffnet neue Perspektiven für deutsch-brasilianische Zusammenarbeit

© DWIH São Paulo

Ein von der Universität Münster sowie den brasilianischen Bundesuniversitäten Fluminense (UFF) und São Paulo (USP) sowie dem Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo organisierter Workshop ermöglichte eine vertiefte Auseinandersetzung mit den komplexen Fragen des Nahen Ostens aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Unter dem Titel „New Approaches to the History of the Middle East in Germany and Brazil“ eröffnete die Veranstaltung nach Aussagen der Teilnehmenden neue und vielfältige Möglichkeiten für die Forschungskooperation zwischen Brasilien und Deutschland.

„Was mich beeindruckt hat, ist ganz klar die hohe Qualität der Forschung zum Nahen Osten und zum Nordafrika seitens der Kolleginnen und Kollegen, aber auch der zahlreichen Studierenden, die dabei waren. Ich sehe ein großes Potenzial eben in der Verschiedenheit unserer Ansätze, die sich nicht ausschließt, sondern eben wunderbar dann eben verschiedene Facetten des Nahen Ostens und Nordafrikas beleuchtet“, betonte Professor Philip Bockholt von der Universität Münster, der die Organisation des Workshops leitete.

„Hier konnte man durch die Zusammenarbeit mit den brasilianischen Partnerinnen und Partnern einen globaleren Blick auf die Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens erhalten, einen Blick, der über die Tradition in Deutschland und in Europa hinausgeht, der eben die lateinamerikanischen Realitäten und Präferenzen mitberücksichtigt“, sagt er.

Der erste Teil der Veranstaltung fand vom 16. bis 18. September in São Paulo an der Fakultät für Philosophie, Geistes- und Humanwissenschaften (FFLCH) statt. Hier diskutierten namhafte Forschende wie Arlene Clemesha (USP) und Bockholt selbst mit anderen Wissenschaftlern über Fragen zu sprachlichen und kulturellen Interaktionen, Philosophie, Religion und Medien. In der darauffolgenden Woche, am 23. und 24. September, folgte die Ausgabe in Niterói am Gragoatá-Campus der UFF.

Für Anja Grecko Lorenz, Programmleiterin des DWIH São Paulo, bot der Workshop eine gute Gelegenheit für die deutschen Forschenden, den aktuellen Stand der Nahostforschung in Brasilien kennenzulernen. „Die Wissenschaft treibt den kritischen Dialog aus verschiedenen Perspektiven und den Vergleich unterschiedlicher methodischer Ansätze voran. Gerade im internationalen Austausch entstehen neue Fragestellungen, etablierte Narrative werden kritisch hinterfragt und innovative Forschungswege eröffnet“, so Lorenz.

 

 

Debatten

Der Workshop an der UFF thematisierte Aspekte wie Nationalismus, Religion und Diaspora im Nahen Osten, Medien, Narrative und Politik sowie Repräsentationen und Aktivismus, Literatur und Übersetzung. Neben dem DWIH São Paulo stellten auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) Förder- und Forschungsmöglichkeiten in Deutschland vor.

Am ersten Tag der Veranstaltung präsentierte UFF-Professor Paulo Pinto das Forschungszentrum für Nahoststudien (Neom), das in Brasilien als eines der führenden Referenzen für Nahoststudien gilt und Forschende zusammenbringt, die Feldforschungen an Orten wie Ägypten, Marokko und dem Libanon durchführen. Der Dozent selbst erläuterte seine ethnographische Forschung über eine Sufi-Gemeinschaft in Aleppo, Syrien, deren Mitgliedern er nach Ausbruch des Bürgerkriegs ab 2011 als Flüchtlinge und Exilanten in Jordanien, der Türkei und Deutschland wiederbegegnete.

Professorin Hülya Çelik von der Ruhr-Universität Bochum reflektierte ihrerseits über die armenisch-türkische Literatur, die sie als „Texte auf Türkisch, geschrieben mit armenischem Alphabet“ definierte. Diese hybride Schreibform erlebte ab dem 18. Jahrhundert mit dem Aufkommen des armenischen Buchdrucks einen besonderen Aufschwung und war keineswegs ein Randphänomen: Etwa 20 % der armenisch-türkischen Produktion besteht aus Übersetzungen, insbesondere europäischer Werke. Çelik plädierte für einen inklusiven und vergleichenden Ansatz bei der Untersuchung dieser Texte.

Im Anschluss daran erkundete Bockholt das Universum der Übersetzung im Osmanischen Reich, das er als einen mehrsprachigen Raum beschrieb, der jedoch von drei Gelehrtensprachen dominiert wurde: Arabisch, Persisch und Türkisch. In einer Untersuchung, die den Zeitraum vom 14. bis zum 18. Jahrhundert umfasst, zeigt der Professor der Universität Münster auf, dass die Übersetzung in der vormodernen Zeit kein Akt der wörtlichen Übertragung war. Vielmehr erfuhren die literarischen Werke durch die Übersetzung beträchtliche Änderungen, einschließlich der Hinzufügung von Kapiteln und sogar der Abänderung von Argumenten. Jede Übersetzung war in Wirklichkeit ein fließender Prozess. „Viele Mitglieder der Elite finanzierten Übersetzungen, weil sie ihre eigenen Namen mit dem Namen des Autors des Werkes verbinden wollten. Übersetzung hatte in diesem Fall also weniger mit Sprache zu tun, sondern vielmehr mit dem eigenen Prestige“, so Bockholt.

Text: Rafael Targino